Marsch der Eisernen Front
Komponist: unbekannt, vermutlich Hermann Scherchen (1891–1966)
Der Marsch der „Eisernen Front“ – ein Bündnis, zu dem sich Reichsbanner, SPD, Gewerkschaften und Arbeitersportverbände 1931 im Kampf gegen den Nationalsozialismus zusammengeschlossen hatten – wurde im Juli 1932 veröffentlicht. Er sollte bis zur Reichstagswahl am 31. Juli „überall verbreitet sein“, so der sozialdemokratische „Vorwärts“. Der Erlös aus dem Verkauf von Notenmaterial und der „Freiheitsplatte“, auf der neben dem Marsch die „Internationale“ und der „Rotgardistenmarsch“ zu hören waren, war für die „Opfer des Abwehrkampfes gegen die NSDAP“ bestimmt. Die Materialien vertrieb der Arbeitersängerbund, dessen Bundesdirigent Hermann Scherchen war.
Auch wenn Scherchens Name auf den Notenblättern und Schallplattenaufnahmen fehlt, ist es wahrscheinlich, dass der bekannte Musiker Urheber, zumindest aber Bearbeiter des Marsches war. Mehrere Biografien Scherchens verzeichnen „Eiserne Front“ als sein Werk. Der Gastwirtssohn aus Berlin-Schöneberg hatte nach 1918 eine beachtliche Karriere hingelegt. Scherchen arbeitete als Dirigent und Vermittler Neuer Musik unter anderem in Leipzig, Frankfurt, Winterthur und Königsberg, war daneben Pädagoge und Verfasser eines „Lehrbuchs des Dirigierens“, Orchestergründer, Komponist, Schriftsteller und Musikverleger. Er gründete die „Neue Musikgesellschaft“ und die Musikzeitschrift „Melos“. Laut dem „Vorwärts“ gehörte Scherchen „zu den wenigen, die ein eigenes Gesicht haben und Richtung halten“.
Scherchen gehörte keiner Partei an, bekannte sich aber zur politischen Linken. Angesichts des verschärften politischen Klimas verfasste er 1932 für den Arbeitersängerbund Chorbearbeitungen von Liedern, die er aus seiner Zeit als Zivilinternierter in Russland kannte. So entstand auch der „Marsch der Eisernen Front“. Scherchen betonte später, „während der großen Wahlperiode die Chöre der Arbeiterschaft mit vollem Bewußtsein geleitet“ zu haben, sei seine „einzige politische Aktivität gewesen“.
Die nationalsozialistische Reichskulturkammer bezeichnete sein Schaffen als „durch marxistische, kommunistische und jüdische Tendenzen beeinflusst“ und kritisierte seine „übergrosse Vorliebe zur atonalen Musik“. Er habe „einen ausserordentlich ungünstigen Einfluss auf die deutsche Musik ausgeübt und dadurch die zersetzenden Einflüsse des Judentums noch verstärkt“. 1933 ging der international renommierte Musiker ins Exil, lebte in der Schweiz, Belgien und England. Eine Rückkehr nach Deutschland lehnte Scherchen ab – dies sei, „als wenn man einen Fisch einlade, von morgen an auf dem Lande zu leben“.
In der Nachkriegszeit setzte Scherchen, der im Tessin lebte, seine erfolgreiche Karriere und sein Engagement fort.
Neuarrangement (2024) von Sebastian Middel